Der Ursprung von Queens epischem Rock-Meilenstein Bohemian Rhapsody muss irgendwo in den späten Sechzigern liegen, als Freddie Mercury gerade am Ealing Art College studierte. Es waren nur ein paar erste Ideen für einen Song, festgehalten auf Papierschnipseln.
Queen-Gitarrist Brian May erinnert sich noch genau, wie der begnadete Sänger und Songwriter ihnen Anfang der Siebziger erstmals seine Idee präsentierte. Einer der Arbeitstitel des Stücks hatte The Cowboy Song gelautet, höchstwahrscheinlich wegen der Zeile „Mama… just killed a man.“
„Die Harmonien hatte er in seinem Kopf ausgearbeitet.“
„Ich weiß noch, wie Freddie mit so einer kompletten Zettelwirtschaft ankam, ganz viel Papier von der Arbeit seines Vaters, Post-it-Notes zum Beispiel; und wie er dann in die Klaviertasten haute“, berichtete May im Jahr 2008. „Er spielte ungefähr so Klavier, wie die meisten anderen mit dem Schlagzeug umgehen würden. Und dieser Song, den er da mitbrachte, hatte noch etliche Lücken. Er sagte, da würde noch etwas Opernhaftes fehlen und so weiter… Die Harmonien hatte er in seinem Kopf ausgearbeitet.“
Mercury sagte seinen Bandkollegen, dass er eigentlich genug Textmaterial für drei Songs hätte. Allerdings fand er die Idee noch spannender, diese ganzen Lyrics zu einem großen, extravaganten Rundumschlag zu kombinieren. Die daraus resultierende Mini-Rock-Oper, immerhin sechs Minuten lang, gilt seither als Markenzeichen von Queen – weshalb auch der Kino-Hit mit Rami Malek in der Hauptrolle danach benannt ist.
„Einfach der größte Kick“
Mitte 1975 probte die Band den Song zum ersten Mal im Ridge Farm Studio in Surrey. Dann nahmen sie sich noch mal drei Wochen Zeit in Hertfordshire, um den Feinschliff zu machen. Ende August waren sie dann bereit für die Studioaufnahme, die am 24. des Monats in den berühmten Rockfield Studios in Monmouth (Wales) stattfand. May beschrieb diesen Moment hinterher als „einfach den größten Kick“.
Der Song beginnt mit dem berühmten A-capella-Intro – „Is this the real life?/Is this just fantasy?“ –, und deckt danach so ziemlich alles ab, was zwischen Glam-Metal und Oper liegt. Eine Woche lang arbeiteten sie an dem opernhaften Zwischenspiel, für das Mercury sämtliche Harmonien komponiert hatte. Obwohl sie mit nur 24 Spuren arbeiteten, schichteten sie für den großen Chor 160 Spuren übereinander – Mercury sang die Mittellage, May die tiefen und Roger Taylor die höheren Spuren. (Bassist John Deacon war daran nicht beteiligt). Gerade Mercury feilte so lange an den Spuren, bis sie wirklich wie ein großer Chor klangen – wobei die Worte „mamma mia“, „Galileo“ und „Figaro“ sich überschlugen und in etlichen Tonhöhen überlagerten.
„Er hat sehr viel von sich in diesen Song gesteckt“
„Wir haben das Tape so oft überspielt, dass es immer wieder kaputtgegangen ist“, erinnerte sich May. „Einmal haben wir das Band gegen das Licht gehalten – und wir konnten glatt durchschauen. Die Musik hatte sich quasi wieder in Luft aufgelöst. Denn jedes Mal, wenn Fred den Entschluss fasste, noch ein paar ‘Galileos’ aufzunehmen, ging auch etwas verloren.“ Das Wort „Galileo“ soll Mercury übrigens für May eingestreut haben, der sich leidenschaftlich mit Astronomie befasste und später auch einen Doktortitel in Astrophysik gemacht hat.
Überhaupt hat es auch der Text von Bohemian Rhapsody in sich: Scaramouche war ein prahlerischer Feigling in den Komödien des 16. Jahrhunderts; „Bismillah“ – also „Im Nahmen Allahs“ – ist die Eröffnungsformel der meisten Suren des Korans, und auch der Beelzebub (der Teufel) taucht auf. „Freddie war eine komplexe Persönlichkeit: leichtfertig und lustig an der Oberfläche, aber er überspielte damit auch Unsicherheiten und Probleme“, so May. „Er hat den Songtext nie genau erläutert, aber ich glaube, dass er sehr viel von sich in diesen Song gesteckt hat.“
„Man wusste einfach, dass gerade Geschichte geschrieben wurde.“
Als die endgültige Version nach weiterem Feinschliff in mehreren Studios dann im Kasten war, wussten alle Beteiligten, dass Queen da etwas ganz Besonderes aufgenommen hatten. „Allerdings wusste erst mal noch keiner, wie sich das als ein sechs Minuten langes Stück anhören würde – dafür mussten die Teile erst noch zusammengesetzt werden“, kommentierte der Produzent Roy Thomas Baker gegenüber der Zeitschrift Performing Songwriter. „Ich stand beim Mischpult, und man wusste einfach, dass das, was man da zum ersten Mal hörte, ein großes Kapitel der Musikgeschichte war. Ich spürte, dass es ein Tag war, den man sich im Kalender anstreichen müsste – und so war es ja auch.“
Der Song, der schließlich auf dem Album A Night At The Opera landete, erschien am 31. Oktober 1975, und er ging sofort durch die Decke: „Ich war blass vor Neid, als ich Bohemian Rhapsody zum ersten Mal gehört habe. Das war Originalität pur. Ein Sound, der Rock und Pop aus der gewöhnlichen Bahn schleuderte“, sagte Björn Ulvaeus (ABBA).
Obwohl sich das Label zunächst gegen eine Veröffentlichung als Single aussprach, beharrten Queen darauf, das Stück auszukoppeln; ihnen war egal, dass der Song doppelt so lang war wie die meisten 3-Minuten-Auskopplungen. Radioeinsätze könnten sie sich schon mal abschminken, hieß es, aber nachdem der Radio-DJ Kenny Everett das Stück an einem einzigen Wochenende gleich 14 Mal gespielt hatte, zogen auch andere Sender nach – was Bohemian Rhapsody schließlich auf Platz 1 katapultierte.
Das bahnbrechende Video zu Bohemian Rhapsody
Mit dem Regisseur Bruce Gowers drehte die Band das bahnbrechende Video, in dem sie die ikonische Pose von ihrem Album Queen II nachstellen. Drei Stunden und £3,500 Budget genügten in den Elstree Studios, um Mercury perfekt in seiner liebsten Marlene-Dietrich-Pose in Szene zu setzen. „Wir fingen um halb acht in der Früh an und waren um halb elf schon fertig; 15 Minuten später saßen wir auch schon im Pub“, erinnert sich Gowers.
Am 20. November feierte der Clip bei Top Of The Pops Premiere. Die Band selbst verfolgte die Show vom Hotelzimmer aus. Während sie in Großbritannien mit neun Wochen an der Spitze der Singlecharts einen neuen Rekord aufstellten, landeten Queen auch in den Staaten ihre erste Top-10-Platzierung. Mehr noch: Bohemian Rhapsody ist der einzige Song, der zwei Mal an Weihnachten ganz oben stand.
„Die Leute sollen für sich selbst entscheiden, was er bedeutet.“
Während Mercury für den Song hinterher auch einen Ivor Novello Award gewinnen sollte, hatten Queen ab sofort ein neues Bühnen-Highlight im Programm, mit dem sie rund 10 Jahre später auch ihre legendäre Live-Aid-Performance beginnen sollten. Seit 2004 in der Grammy Hall Of Fame vertreten, wurde Mercurys Part von den Lesern des US-Rolling Stone zur besten Gesangsaufnahme in der Geschichte des Rock gewählt. Auch im digitalen Zeitalter ist Bo Rhap, wie Queens-Fans die drittmeistverkaufte Single in UK gerne nennen, längst angekommen: Im Dezember 2018 wurde sie offiziell zum „am meisten gestreamten Song aus dem 20. Jahrhundert“ erklärt – mit damals gut 1,6 Milliarden kombinierten Streams.
„Es ist nun mal so ein Song, der dieses Fantasy-Feeling hat“, sagte Mercury einst. „Ich finde, die Leute sollten sich ihn einfach anhören und drüber nachdenken – und dann für sich selbst entscheiden, was er für sie bedeutet.“
Quelle: uDiscover