Alles beginnt mit Peter Pan. Denn eigentlich hat Komponist Jim Steinman vor, eine futuristische Variante des Kinderbuchklassikers auf die Bühne zu bringen. Schon 1974 schreibt er die Songs dazu, führt die Rock-Oper 1977 auch auf. Da haben er und sein Kumpel Meat Loaf aber längst eine andere Idee: Weil ihnen drei der Songs als außergewöhnlich auffallen, wollen sie ein ganzes Album darum stricken. Steinman schreibt die Songs, Meat Loaf singt sie ein. So weit, so gut. Tausend Geschichten haben davor auf ganz ähnliche Weise begonnen, tausend Geschichten nahmen seither ebenjenen Anfang. Diese hier ist anders. Diese hier bringt eins der erfolgreichsten Alben aller Zeiten hervor – Bat Out Of Hell. Bis heute konnten mehr als 43 Millionen Exemplare davon verkauft werden.
Wie so etwas passieren kann, ist ja nie so ganz genau zu erklären. Bei manchen Platten dieser Größenordnung stecken lange und erfolgreiche Karrieren dahinter (siehe Eagles), bei anderen gigantische Marketing-Kampagnen (siehe Michael Jackson). Aber das hier? Pff, weder noch. Meat Loaf kennen ein paar Leute aus Musicals wie Hair oder Rocky Horror Show, Steinman schreibt Songs für Theater und Bühne. Zwei Menschen aus der Theaterwelt, die plötzlich die beinharte Welt des Rock’n’Roll auf den Kopf stellen? Nee, so was gab es wirklich noch nicht.
Steven van Zandt rettet das Album
Und lange sieht es auch nicht danach aus: Das Jahr 1975 wird überwiegend für Aufnahmen verwendet, danach verbringen die beiden zwei geschlagene Jahre damit, eine Plattenfirma für die Songs zu finden. Niemand will sie, niemand nimmt sie ernst, niemand sieht in einem Theaterschauspieler einen probaten Rockstar. „Die Songs sind viel zu theatralisch und aus Meat Load wirst du nie eine Berühmtheit machen“, hieß es von zahlreichen Seiten. Es ist quälend, die beiden stehen ständig kurz vor der Resignation.
Am Ende ist es Steven Van Zandt von Bruce Springsteens E Street Band, der die beiden zu Cleveland International Records bringt. Kohle gibt es keine, Produzent Todd Rundgren muss das Album binnen einer Nacht mixen. Man will nicht so recht daran glauben. Als das Album am 21. Oktober 1977 erscheint, nimmt zunächst niemand Notiz davon und es scheint, als würden alle ablehnenden Stimmen Recht behalten. Dann, ganze sechs Monate nach Veröffentlichung, strahlt das BBC einen Live-Clip von Meat Loaf und Jim Steinman aus. Und von England aus geraten Dinge ins Rollen, die bis heute nicht aufgehalten werden können: Bat Out Of Hell verkauft sich immer noch 200.000 Mal im Jahr.
Der Humor bleibt unbemerkt
Meat Loaf geht durch die Decke, wird entgegen aller Unkenrufe zum Star. Und das mit einem aufgeblasenen, theatralischen Rock-Leviathan voller Pomp und Pathos und mit einem Hang zur melodramatischen Überlänge. Das kommt bei der hochnäsigen Presse nicht gut an. Führende Blätter zerpflücken das Album in der Luft, der Rolling Stone betreibt Fat-Shaming, indem er eine Live-Kritik mit Fat Out Of Hell betitelt. Charmant.
Was bis heute nicht viele wissen: Auch wenn Meat Loaf und Jim Steinman Bat Out Of Hell keineswegs als Parodie konzipiert haben, sind die Songs in ihrer bewussten Überzeichnung tatsächlich überwiegend als Humoreske gemeint. Klischees, Plattitüden und Tropen sind im Musical üblich und finden auch ihren Weg auf eine der erfolgreichsten Rock-Platten aller Zeiten, garniert mit jeder Menge doppelbödiger Lyrics. Sie werden initial nur von sehr wenigen wahrgenommen – von Todd Rungren etwa, der nur basierend auf diesem Humorfaktor entscheidet, das Album zu produzieren.
Wagner-Rock
Genau das macht Bat Out Of Hell aus. Es ist eine wagnerianische Rock-Oper von ausladender Üppigkeit und übertriebener Fülle, herrlich anachronistisch und so zielgenau an allen Trends vorbei, dass es eine Freude ist. Geschrieben in einer heruntergekommenen WG in New York City, aufgenommen mit kaum einem Dollar in der Tasche – und genau deswegen eine dieser unglaublichen Antiheldenstorys, die der Rock’n’Roll braucht. „Bat Out Of Hell ist echter als 95 Prozent aller Alben“, sagte Meat Loaf mal. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.
Der erste große Höhenflug endet für Meat Loaf allerdings gleich in einem fast tödlichen Desaster: Eine stets sehr wirkungsvolle und allseits beliebte Mischung aus extensivem Touren, Alkohol und Drogen raubt ihm noch vor Ende des Jahrzehnts seine Stimme. Die Musik, die Entstehung, der Lifestyle: Alles eben ein wenig exzessiver und wilder als bei allen anderen.
Quelle: uDiscover